Die Himmelsleiter: Grundschartner Nordkante – unser längster Urlaubstag...
Von Nina Moltrecht und Hagen Goetzke
Am Ende unseres Sommerurlaubes in den Ostalpen wollten wir noch eine schöne, lange und einsame Tour mit bestem Fels klettern. Nach der brüchigen Westverschneidung an der Triglav-Nordwand in Slowenien und dem überlaufenen Stüdlgrat am Großglockner waren wir fit für eine weiteren Kracher-Tour. In den Zillertaler Alpen, weit hinten im Zillergrund gelegen und vom Tal aus nicht sichtbar, befindet sich der Grundschartner mit der unter Liebhabern bekannten Nordkante mit 700 Metern Kletterlänge. Ein „Pause-Extrem-Klassiker“, mit langem, weglosem Zu- und Abstieg, ohne Hütte, aber angeblich die beste Granitkletterei der Ostalpen, vergleichbar mit der viel berühmteren Piz Badile-Nordkante. Das alles passte perfekt in unser Beuteschema.
Also ging es ins Zillertal. Die 1500 Höhenmeter Zustieg wollten wir in zwei Etappen unterteilen. Deshalb stiegen wir am ersten Tag bis zur Bodenalm 650 Höhenmeter auf. Hier gibt es einige Hütten und eine Menge Kühe, doch keinen Senner. Man ist ganz allein mit dem Gebimmel der Kuhglocken und den Murmeltieren, die sich rund um die Hütten in den Ställen und Holzschuppen tummeln. Eine Hütte ist als Bergsteigerlager geöffnet, hat ein paar Lager mit Decken.
Der Aufstieg zur Bodenalm führt steil durch den Wald, hier werden auch die Kühe auf- und abgetrieben, was wir uns kaum vorstellen können bei dieser Steilheit und Ausgesetztheit. Dann öffnet sich das Tal, aber leider bleibt der Grundschartner in den Wolken für uns unsichtbar. Dafür sind die Blaubeeren reif und wir futtern reichlich. Für die Almkühe sind wir die Sensation des Tages, sie kommen in Gruppen angezockelt, betrachten uns ausführlich und bekommen einige Streicheleinheiten.
Bombenfester Fels
Am nächsten Morgen klingelt um vier Uhr der Wecker. Noch ist es dunkel und die erste halbe Stunde geht es mit Stirnlampen das Tal hoch. Und heute sehen wir auch den Grat, denn das Wetter wird perfekt: sonnig und wenig Wind. Der Zustieg von weiteren 900 Höhenmetern ist weglos durch Latschen, Bachläufe und Steilgras, aber wir finden ihn auf Anhieb. Normalerweise muss man vor dem Einstieg auch noch einige Schneefelder queren, aber in diesem heißen Sommer 2022 haben wir so gut wie gar keine Schneeberührung, sondern kraxeln über Felsen und Schutt.
Schon im Zustieg haben wir ehrfürchtig hinaufgeschaut, die Nordkante ist sehr steil und leicht geschwungen. Der Fels sieht bombenfest aus, wunderbar! Unsere Vorfreude steigt. Am Beginn des Grates ziehen wir unsere Klettergurte an und sofort geht es richtig los. Die ersten leichten Klettermeter sind bereits sehr ausgesetzt, rechts und links geht es steil nach unten und man balanciert über die Kante.