Grundschartner Nordkante

Unser längster Urlaubstag...

04.06.2024

Die Himmelsleiter: Grundschartner Nordkante – unser längster Urlaubstag...

Von Nina Moltrecht und Hagen Goetzke

Am Ende unseres Sommerurlaubes in den Ostalpen wollten wir noch eine schöne, lange und einsame Tour mit bestem Fels klettern. Nach der brüchigen Westverschneidung an der Triglav-Nordwand in Slowenien und dem überlaufenen Stüdlgrat am Großglockner waren wir fit für eine weiteren Kracher-Tour. In den Zillertaler Alpen, weit hinten im Zillergrund gelegen und vom Tal aus nicht sichtbar, befindet sich der Grundschartner mit der unter Liebhabern bekannten Nordkante mit 700 Metern Kletterlänge. Ein „Pause-Extrem-Klassiker“, mit langem, weglosem Zu- und Abstieg, ohne Hütte, aber angeblich die beste Granitkletterei der Ostalpen, vergleichbar mit der viel berühmteren Piz Badile-Nordkante. Das alles passte perfekt in unser Beuteschema.

Also ging es ins Zillertal. Die 1500 Höhenmeter Zustieg wollten wir in zwei Etappen unterteilen. Deshalb stiegen wir am ersten Tag bis zur Bodenalm 650 Höhenmeter auf. Hier gibt es einige Hütten und eine Menge Kühe, doch keinen Senner. Man ist ganz allein mit dem Gebimmel der Kuhglocken und den Murmeltieren, die sich rund um die Hütten in den Ställen und Holzschuppen tummeln. Eine Hütte ist als Bergsteigerlager geöffnet, hat ein paar Lager mit Decken.

Der Aufstieg zur Bodenalm führt steil durch den Wald, hier werden auch die Kühe auf- und abgetrieben, was wir uns kaum vorstellen können bei dieser Steilheit und Ausgesetztheit. Dann öffnet sich das Tal, aber leider bleibt der Grundschartner in den Wolken für uns unsichtbar. Dafür sind die Blaubeeren reif und wir futtern reichlich. Für die Almkühe sind wir die Sensation des Tages, sie kommen in Gruppen angezockelt, betrachten uns ausführlich und bekommen einige Streicheleinheiten.

 

Bombenfester Fels

Am nächsten Morgen klingelt um vier Uhr der Wecker. Noch ist es dunkel und die erste halbe Stunde geht es mit Stirnlampen das Tal hoch. Und heute sehen wir auch den Grat, denn das Wetter wird perfekt: sonnig und wenig Wind. Der Zustieg von weiteren 900 Höhenmetern ist weglos durch Latschen, Bachläufe und Steilgras, aber wir finden ihn auf Anhieb. Normalerweise muss man vor dem Einstieg auch noch einige Schneefelder queren, aber in diesem heißen Sommer 2022 haben wir so gut wie gar keine Schneeberührung, sondern kraxeln über Felsen und Schutt.

Schon im Zustieg haben wir ehrfürchtig hinaufgeschaut, die Nordkante ist sehr steil und leicht geschwungen. Der Fels sieht bombenfest aus, wunderbar! Unsere Vorfreude steigt. Am Beginn des Grates ziehen wir unsere Klettergurte an und sofort geht es richtig los. Die ersten leichten Klettermeter sind bereits sehr ausgesetzt, rechts und links geht es steil nach unten und man balanciert über die Kante.

Krachende und rumpelnde Gletscher

Die Route wurde 1928 durch Peter Aschenbrenner und Willi Mayr erstbegangen. Damals gab es noch keine Bohrhaken und so ist es bis heute auch geblieben. Es stecken einige alte Schlaghaken, ab und zu findet sich auch eine alte Schlinge, aber ansonsten darf man die ganze Tour selbst absichern. Die meiste Kletterei ist im 3. und 4. Grad, gewürzt mit einigen Seillängen im 5. und 6. Grad. Rechts und links von uns befinden sich kleine Gletscher, bei denen es ständig rumpelt und kracht. Die Wärme lässt das Eis schmelzen und zusammenbrechen. Zum Glück sind wir auf dem Grat völlig sicher.

Wir brauchen einigen Spürsinn, um den richtigen Weg zu finden, denn wir sehen nur wenige Begehungsspuren. Einige markante Stellen sind der „gespaltene Block“, der „Adlerschnabel“ und der „rote Turm“. In der Schlüsselstelle stecken immerhin vier geschlagene Haken und die Kletterei ist anspruchsvoll. Erst kurz vor dem Gipfel werden die Felsen etwas brüchig, bis hierhin war die Kletterei einfach grandios! Nach 18 Seillängen kommen wir auf den Gipfel des Grundschartners (3065 m). Vom Gipfel sieht man fast keine Zivilisation, hier sind wir wirklich sehr abgelegen und einsam.

 

Abstieg im weglosen Gelände

Wir halten uns nicht lange auf, denn fast 2000 Höhenmeter Abstieg warten jetzt noch auf uns. Auf den Grundschartner gibt es keinen Wanderweg, der einfachste Aufstieg erfordert bereits Kletterei im 2. Grat. und ist überwiegend weglos. Wir suchen uns eine möglichst leichte Linie über Geröll und viele Gletscheschliffplatten. Weiter unten sind in steilen Grashängen zumindest Markierungsstangen gesetzt, denn fast der ganze Talkessel ist durch steile Wandabbrüche ungangbar und es wäre sonst sehr schwierig, den richtigen Einstieg in den Latschengürtel zu finden. Nun gibt es Markierungen und wir finden auch Wasser. Der Tag war bisher schon lang und unser Wasser ist schon lange aufgebraucht.

Hinter der bewirtschafteten Kainzenalm laufen wir noch einige Kilometer auf Forststraßen. Weiter unten an der Hauptstraße des Zillergrunds können wir glücklicherweise per Anhalter fahren und ersparen uns die letzten zwei Stunden Fußmarsch. Eigentlich hätten wir uns nach 14 Stunden auf Tour ja ein leckeres Abendessen verdient, aber alle Gastwirtschaften im Zillergrund schließen die Küche bereits um 18.00 Uhr, wenn die Tagesgäste abfahren. Pech gehabt! So gibt es mal wieder Spaghetti.

 

Info Tipp: www.bergsteigen.com/touren/klettern/grundschartner-nordkante/